Die tote Braut (German Edition) by Aline Templeton

Die tote Braut (German Edition) by Aline Templeton

Autor:Aline Templeton [Templeton, Aline]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Endeavour Press
veröffentlicht: 2015-04-13T16:00:00+00:00


VIERTE SITZUNG

Mittwoch, 29. Juli

Vierte Sitzung

Warum sind Sie gestern einfach gegangen?

Sie schienen nicht mit mir reden zu wollen.

Das habe ich nicht gesagt.

Sie haben überhaupt nichts gesagt.

Vielleicht hätte ich aber noch etwas gesagt, wer weiß.

Was denn?

Sie kommen sich wohl ganz schön schlau vor. Wollen mich reinlegen. Ich mag es nicht, wenn man mich reinzulegen versucht.

Es bleibt Ihnen überlassen, was Sie mir erzählen.

Sie möchten es gern wissen, nicht wahr? Sie möchten wissen, was passiert ist, nachdem das Baby da war. Haben Sie ja selbst gesagt.

Wenn Sie so weit sind.

Vielleicht bin ich 's nicht.

Das ist Ihre Entscheidung.

Warum interessiert Sie das überhaupt?

Es könnte uns helfen, zu verstehen.

Das sagten Sie schon. Aber Sie werden es nicht verstehen. Niemand kann es verstehen, nicht wirklich. Niemand hat es je verstanden. Niemand. Nicht einmal mein Bruder.

»Hasst du das Baby?«, hat er mich eines Tages gefragt, als wir im Wald hinterm Haus standen und Steine in den breiten Fluss warfen.

»O ja, ich hasse es«, sagte ich. Ich hatte mir lauter runde, flache Steine gesucht und sie geworfen, und ich weiß noch, wie das Wasser in der Sonne glitzerte. Es gab auch Libellen dort, glänzende blaue Libellen. Ich sehe sie noch richtig vor mir.

»Ist es …«, sagte er zögernd, hob selber einen Stein auf und warf ihn so tollpatschig, dass er gleich unterging. »Ist es okay, das Baby zu hassen?«

Ich warf einen weiteren Stein, bevor ich antwortete. Vielleicht war er ja gar nicht so weich und dumm.

»Weißt du noch, wie Dad uns von dem Kuckuck erzählt hat?«

Er runzelte unsicher die Stirn. »Ja, schon.«

»Der Kuckuck legt sein Ei einem anderen Vogel ins Nest. Und wenn das Küken dann ausschlüpft, frisst es den anderen Küken alles weg und schmeißt sie aus dem Nest.«

Es fiel ihm wieder ein. »Was passiert mit ihnen, wenn sie nicht mehr im Nest sind?«

Er hatte Angst. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mich anguckt. Ich sah ihm in die Augen. »Sie sterben, weil sich niemand mehr um sie kümmert. Das Baby ist so ein Kuckuck.«

Seine großen braunen Augen, die er von unserer Mutter hatte, waren runder als je zuvor. Aber er weinte nicht. Das hatte ich ihm schließlich doch noch beibringen können.

Danach war es eine Zeit lang merkwürdig still zu Hause. Wenn wir nicht in der Schule waren, gingen wir ihr aus dem Weg – da passte ich immer gut auf. Wir kamen zu den Mahlzeiten rein, wenn mein Vater da war, sagten kein Wort und verschwanden gleich wieder wie wilde Tiere in den Geheimverstecken, die wir uns im Wald gebaut hatten.

Merkwürdig, aber irgendwie war ich gar nicht so unglücklich. Von meinem Vater hatte ich mich ja losgesagt, nicht wahr; und mein Bruder und ich hatten ja einander – »für immer und immer und immer«, wie er nach wie vor sagte.

Das Kuckuckskind war immer noch puterrot und hässlich, aber inzwischen um einiges aktiver. Es machte Krach, es machte eine Sauerei nach der anderen, wie Babys das nun mal tun. Babys sind eklig, nicht wahr? Abstoßend. Finde ich jedenfalls.

Mein Vater sah erschöpft und irgendwie auch älter aus, aber es war ja seine Entscheidung gewesen.



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